Die Suche nach dem Heiligenschein
Eigentlich hatte Ferdi Stöckel keine großen Erwartung an seine Zeit im Priesterseminar von Sankt Georgen. Und vor allem dachte er nicht, dass die Beschäftigung mit dem Thema Glauben etwas mit ihm machen würde. „Doch dann war ich nach den ersten vier Tagen wieder daheim – und bin anschließend gleich zweimal in kurzer Zeit in die Kirche gegangen, weil ich das Bedürfnis danach hatte und neugierig war“, berichtet er. Untypisch für den jungen Mann, der eigenen Angaben zufolge lange damit fremdelte, die Tür der Kirche zu öffnen und dort einer eingeschworenen Gemeinschaft zu begegnen. Doch als er es dann tat, fühlte es sich doch richtig an.
Es ist ein ungewöhnliches Projekt: Drei Studierende der Hochschule der Medien in Stuttgart ziehen ins Priesterseminar Sankt Georgen ein und begeben sich auf die Suche nach Gott und dem Sinn des Lebens. Über die Gespräche mit Priesterseminaristen und den eigenen inneren Nachklang drehen sie zwölf Folgen einer Webserie, die auf YouTube online geht. „GOD OR NOT“ heißt sie, und die ersten beiden Folgen sind bereits erschienen. Hier geht’s zum YouTube-Kanal von „GOD OR NOT“.
„Mal sehen, wie die so drauf sind“
Es gilt, große Fragen zu beantworten – und sich in ein fremdes Leben und einen ungewohnten Tagesablauf einzufinden. Daher waren die Medienstudierenden vor der ersten Fahrt nach Frankfurt schon etwas nervös. „Ich wollte mich bewusst überraschen lassen und habe mir Sankt Georgen daher noch nicht mal vorher im Internet angeschaut“, erzählt Ferdi Stöckel rückblickend. Möglichst unvoreingenommen an die Sache herangehen wollte auch seine Kommilitonin Sally Müller. Nervös war sie nicht, denn Sally ist gern unterwegs, erkundet neue Länder und Kulturen und ist das Leben in der Fremde gewohnt. Doch dass der Start in Sankt Georgen trotzdem ungewohntes Terrain für sie war, zeigt ihre bange Frage im ersten Teil der Videoserie: „Was ist, wenn ich unbedingt wieder raus will?“ Und auch vor der ersten Begegnung mit den Priesterseminaristen weiß Sally noch nicht so ganz, was sie davon halten soll. „Mal sehen, wie die so drauf sind“, sagt sie leise in die Kamera, die Szene ist Teil der ersten Folge.
Ein kleiner Heiligenschein überm Namen
Doch als die Studis den Seminaristen Christian Jager, Julian Kania, Lukas Kämpflein und Antonio Jagodin dann gegenüberstehen, zerstreuen sich diese Sorgen schnell. Witzig: Um zu kennzeichnen, wer zum Priesterseminar gehört, sind im Video die sogenannten Bauchbinden der Seminaristen, auf denen die Namen eingeblendet werden, mit kleinen Heiligenscheinen verziert.
Die Studierenden beziehen ihre Einzelzimmer („mit eigenem Bad!“) – und finden schnell in den Alltag in Sankt Georgen. „Dabei hilft, dass der Tagesablauf geregelt ist, deshalb hat man das schnell raus“, so Florian Heidecker. Doch wie die ersten vier Tage wirklich waren, merkt Ferdi Stöckel eigentlich erst, als er wieder daheim ist und das Material für die Veröffentlichung schneidet. „In dieser Phase habe ich nochmal mehr verstanden, was wir da erlebt haben – die Arbeit mit dem Videomaterial ist eine gute Möglichkeit, mit Abstand zu reflektieren.“ Ähnlich geht es seinem Kollegen Florian Heidecker, der für den Ton verantwortlich ist.
Trotz Lockdown nicht verschoben
Drei jeweils viertägige Aufenthalte in Sankt Georgen sind geplant. Mitte Oktober waren die Studierenden erstmals da, gerade haben sie erneut ihre Zimmer im Priesterseminar bezogen. Und im Januar kehren sie noch einmal für vier Tage zurück. Ursprünglich war der erste Aufenthalt bereits für April oder Mai geplant. Doch dann kam der Corona-Lockdown – und der Dreh musste verschoben werden. Natürlich war jetzt, im neuerlichen Lockdown, die Frage, ob der zweite Aufenthalt nicht lieber später stattfinden soll. „Doch wir wollten einfach nicht so eine große Lücke dazwischen entstehen lassen und sind deshalb hergekommen“, begründen sie die Entscheidung.
Was haben die ersten beiden Aufenthalte in Sankt Georgen mit den drei jungen Menschen gemacht? „Ich hatte schon immer mein eigenes Konzept von Glauben“, sagt Sally – „und dafür brauche ich auch keine feststehenden Kategorien.“ Anders geht es Ferdi: „Mich interessiert: Warum gibt es diese Regeln und Kategorien? Ich habe schon eine liberale Haltung zum Thema Religion, aber zugleich merke ich, dass ich selbst noch total auf der Suche bin.“
Über den selbstverständlichen Glauben sprechen
Seminarist Christian Jager hat sich auf das Experiment eingelassen, weil er neugierig war, was er daraus mitnehmen kann. „Es hat mir schon jetzt geholfen, zu reflektieren und zu lernen, mehr über meinen für mich so selbstverständlichen Glauben zu sprechen“, sagt er. Diesen Glauben in Worte zu bringen sei nicht leicht, aber nötig. Ähnlich geht es auch seinem Kollegen im Priesterseminar, Antonio Jagodin. Er möchte künftig darauf achten, Außenstehenden auch vermeintlich selbstverständliche Dinge besser zu erklären. Also ein Gewinn für alle Beteiligten – ob mit oder ohne Heiligenschein.